Gehörlos trifft Kirche. Bundesfachtagung Hörgeschädigtenseelsorge vom 19.-21. Februar in Heiligenstadt. Mein persönlicher Rückblick und Ausblick.

Es waren intensive Tage in Heiligenstadt. Seit 2012 war ich selbst nicht mehr dabei. Es gab ein Wiedersehen mit langjährigen Weggefährt*innen, und das Kennenlernen von neuen Kolleg*innen. Die Gruppe der gebärdensprachlichen Teilnehmer*innen war etwas größer als sonst: Laura Henke (Caritasverband Limburg) und Sascha Löpker (Verband der Kath. Gehörlosen Deutschlands) brachten ihre Perspektiven als „Betroffene“ ein. Dieser Austausch müsste dringend verstärkt werden: „nicht ohne uns über uns“. Ein sehr guter Gesprächpartner und Ideengeber war Andreas Konrath von der Gehörlosenseelsorge der Evangelischen Kirche in Mitteldeutschland als Vertreter der DAFEG (Dt. Arbeitsgemeinschaft für ev. Gehörlosenseelsorge).

Inhaltlich sollte es um neue Sozialformen in der Hörgeschädigtenseelsorge gehen. Nach der Begrüßung und der Einstiegsrunde wurden zwei verschiedene Zugänge zum Thema eröffnet: die Moderatorin Gudrun Zipper interviewte den Vorsitzenden des Verbandes der Katholischen Gehörlosen Deutschlands, Sascha Löpker. Im Interview schilderte er seine Erwartungen an zukünftige Formen der Gemeinschaftsbildung und an die Unterstützung durch die Seelsorger*innen im entsprechenden Arbeitsfeld.

Dann präsentierte Christian Enkeherbe Thesen“ des tauben Aktivisten Ludwig Herb, der jetzt Ludwig Leonhardt heißt. Er kritisiert das Vereins- und Verbandswesen in der Gehörlosenwelt. Ohne Modernisierung im Selbstverständnis und in der Gemeinschaftsbildung hat die Gehörlosenwelt keine Zukunft…

Professor Dr. Maria Widl, Pastoraltheologin an der Universität Erfurt, zeigte am nächsten Tag auf, wie sehr die Kirche sich aus dem dörflichen Denken und den dörflichen Strukturen entwickelt hat. Stichworte waren hier:
Christsein als Erbe
– Kirche als Monopol für Religion
– Glaube als Konvention

Das war für mich sehr erhellend in Bezug auf viele Aspekte in der Gehörlosenwelt und – seelsorge , wie ich sie seit über 20 Jahren kennen gelernt habe und auch heute noch mittrage.
In den ersten Jahren in der KGG Trier sind wir den nächsten Entwicklungsschritt in rasantem Tempo gegangen: die Weiterentwicklung vom „Dorf“ zur „Stadt“ – also in die Moderne.
Christsein als Weg
– Kirche in Konkurrenz zu anderen Entwürfen
– Glaube als prophetisches Zeugnis

Nun ist nach der Moderne längst die Postmoderne angebrochen. Hier braucht es eine neue Ausgestaltung der kirchlichen Grundvollzüge.
Lebenshilfe: die Kirche muss interesssiert sein an den vielen „Einzelnen“, es muss ihr um das ganzheitliche Lebensglück der Menschen gehen. sie muss Menschen mit Gott in Berühung bringen.
Verheißung: die „Sachzwänge“ engen ein, es braucht eine neue Freiheit. Es muss mehr um „Liebe“ gehen als um „Profit“. Wir müssen „umkehren“, also uns neu auf das Reich Gottes ausrichten.
Berufung: das heißt: Charismen (Geistesgaben, die Gemeinschaft aufbauen) entdecken und fördern, die vielen Berufungen der Einzelnen entdecken und fördern – neue Gemeinschaften bilden: „vom Wohnzimmer“ bis zum „Event“.

Mir hat es Spaß gemacht, erst einmal die Gedanken von Frau Widl kennen zu lernen – und mich dann darin wieder zu finden und auseinander zu setzen. Die Übertragung auf meinen/unseren Dienst mit tauben Menschen in der Gehörlosenseelsorge konnten wir in einem spannenden Gesprächskreis vertiefen.
Dabei ist mir bewusst geworden, wieviel „Dorf“ es in der Gehörlosenseelsorge und in mir selbst (noch) gibt – und: dass das gut ist und seinen Wert hat. Ich konnte unseren Weg in der KGG Trier in den letzten 20 Jahren mit dem Bild von der „Stadt“ deuten – auch wenn wir natürlich ein ländliches Bistum geblieben sind und wir alle unser „Dorf“ weiter in uns tragen.
Aber es stimmt: die große Herausforderung ist es, uns der „Postmoderne“ zu stellen, mit dem „Dorf“ und der „Stadt“ im Kopf und im Herzen.

Ich habe für mich 11 To-do-s entdeckt, die ich in Zukunft in meinem Dienst in der Seelsorge mit tauben Menschen, die die Deutsche Gebärdensprache als ihre Muttersprache benutzen, beherzigen will:

11 „To do’s“ für (m)einen Dienst als hörender Seelsorger in der katholischen Seelsorge
mit tauben Menschen


1. Dem Heiligen Geist auf der Spur bleiben!

11 Gebote für meinen Dienst in der gebärdensprachlichen Seelsorge

1. Dem Heiligen Geist auf der Spur bleiben!

2. Keine generalstabsmäßige Organisationsentwicklung, keine „Großbaustelle“
Eher „basteln“. Etwas ausprobieren, auswerten, verändern.

3. Haltungen einüben: suchen, entdecken, begegnen, abwarten können, reagieren, wenn’s dran ist.

4. „Deaf Spaces“ (Orte und Gelegenheiten, wo taube Menschen zu finden sind) aufsuchen, Menschen kennen lernen, Anliegen entdecken. Sich anbieten. Mit Demut.

5. Taube Menschen selbst als Subjekte der Veränderung akzeptieren.
Hörende sind im Hintergrund, Unterstützer*innen, Ermöglicher*innen.

6. Aus dem „DORF-Denken“ übernehmen:
FRÖMMIGKEIT, GEMEINSCHAFTSGEFÜHL, die gegenseitige VERPFLICHTUNG. 

Aus dem „STADT-Denken“ übernehmen:
THEMEN wie: Bewahrung der Schöpfung, Politik, Soziales, Flüchtlinge.
Sich den Chancen und Bedarfen des „postmodernen Denkens“ öffnen
und gemeinsam suchen.

7. Seelsorgliche/sakramentale Begleitung von sterbenden Gemeinden/Gemeinschaften/Vereinen anbieten
(entsprechend der Krankensalbung, den Sterbesakramenten für Einzelne).

8. Seelsorgliche/sakramentale Begleitung und Stärkung von entstehenden Projekte, neuen Gemeinschaftsformenanbieten (entsprechend der Taufe, der Firmung von Einzelnen).

9. Seelsorgliche/sakramentale Begleitung von Konflikten und Umkehrprozessen in Gemeinden/Gemeinschaften/Vereinen anbieten (entsprechend dem Sakrament der Versöhnung und der Umkehr).

10. Überörtliche Sammlung der (wenigen) tauben Menschen, die am christlichen Glauben in der katholischen Kirche interessiert sind. Im Netzwerk „taub-und-katholisch“ mitarbeiten.
Mit anderen christlichen Initiativen in Deutschland und auf internationaler Ebene in Kontakt sein.

Erwartungen identifizieren, Stärkung organisieren.

11. Dem Heiligen Geist auf der Spur bleiben! (siehe 1)

Hier meine Todo’s im Zusammenhang mit einigen grundsätzlichen Überlegungen zum Nachlesen und Runterladen.

Nach intensiven Diskussionen lernten wir am Abend bei einem Nachtspaziergang bunte Geschichte und die reiche Kultur Heiligenstadts kennen.
Am nächsten Morgen wurden Projekte vorgestellt, Absprachen getroffen und Schritte vereinbart. Zum Abschluss feierte Weihbischof Dr. Reihnard Hauke mit uns die Heilige Messe. Er betete und predigte selbst in LBG und ist damit sicher der einzige deutsche Bischof, der das kann.

Herzlichen Dank an alle, die diese Tagung vorbereitet haben und die, die teilgenommen haben. Mich hat die Tagung in meiner Suche nach verantwortlichen Schritten in die Zukunft der Gebärdensprachlichen Seelsorge weiter gebracht. Ich bin gespannt, was daraus wird – in Trier und in Deutschland.


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